Ja, wo sind denn alle hin?

Früher haben Menschen gefragt, ob Gott wirklich da ist oder nicht. Ob das nun im Gottesdienst war, beim Abendmahl oder auch, wenn gebetet wurde.

Sieht Gott mich? Hört Gott mich?

Das war bei der Flüchtigkeit von Gotteserfahrungen nicht leicht zu beantworten. Und ist es ja heute auch nicht.

Anders war es früher mit den Menschen. Ob Menschen da sind oder nicht, war schnell geklärt: man schaute sich um, war keiner da, war eben keiner da – peng, aus. Und wenn man etwas von jemandem wollte, ging man hin. Wenn jemand da war, dann war der auch da. Wie sollte das anders sein?

Heute jedoch weiß man das nicht mehr so genau. Der Mensch ist ein flüchtiges Wesen geworden. Kein Flüchtling, nein, nein: aber flüchtig im eigenen Land.

Man ruft an, niemand nimmt ab. Man klingelt an der Haustür, niemand macht auf – selbst wenn jemand zuhause ist, heißt das noch lange nicht, dass man auch zur Tür geht, wenn es klingelt.

Und wenn man einen Termin machen will, kann das schwierig werden: man sei unterwegs, Urlaub mit dem Wohnmobil, auf Kur, Reha oder sonst wo. Nein, da habe man schon Termine.

Und wenn man dann etwas abgemacht hat, dann wird kurz vorher umdisponiert, das Treffen verschoben oder abgesagt. Oder noch besser: Termine werden nicht eingehalten, abgesagt wird aber auch nicht.

Manchmal gibt es nicht mal mehr Termine – wir kommen irgendwann am Montag. Ja geht’s noch – soll ich den ganzen Tag warten, dass der Öllieferant endlich kommt? Und um 17.30 Uhr wird mir per WhatsApp mitgeteilt wird – wir schaffen es erst morgen!

Alle sind viel unterwegs – kaum fassbar, wie viele Menschen nicht zu fassen sind.

Früher fragte man vielleicht: wo ist Gott denn. Heute ist vielmehr ist die Frage: Wo sind die Menschen denn alle hin? Wenn ich dieses Thema im Bekanntenkreis anspreche, bricht es aus den Leuten schier heraus.

Ein Beispiel nach dem anderen: man kriegt nie jemanden mal zu fassen, um etwas verlässlich abzumachen. Man trifft bei Rückfragen oder Kritik nie auf die, die etwas entscheiden – immer nur irgendwelche menschlichen Puffer – wenn man Glück hat und da nicht ohnehin nur ein Computer antwortet.

Wo sind die Menschen denn alle hin, mit denen man von Angesicht zu Angesicht etwas regeln konnte?

Aber was soll das Gemaule in der Weihnachtsausgabe des Gemeindebriefes?
Wenn ich mir überlege, wie flüchtig doch viele Menschen inzwischen sind, dann kommt mir Gott heutzutage vergleichsweise sehr beständig vor. Gott ist vielleicht inzwischen fassbarer da als die Menschen, zu denen er kommen will.

Wir warten im Advent ja nicht nur darauf, dass Gott in die Welt kommt. Das passierte ja schon vor 2000 Jahren. Aber Weihnachten ist ja mehr als nur eine Erinnerung an ein historisches Ereignis in einem weit entfernten Land vor weit entfernter Zeit.

Wir hoffen ja vielmehr, dass Gottes heilender Geist jetzt zu uns kommt, zu mir, in mein Leben – hier und jetzt. Hier und jetzt hinein in meine Traurigkeit über diese Welt, in meine Sehnsucht nach Frieden und Zuversicht, in meine glücklichen Momente

Und dann auch wirklich da ist, wirksam, mich aufbaut und tröstet, mich neu ausrichtet, aufrichtet, mich stärkt und froh macht. Und ich nicht in irgendeiner öden Warteschleife des Lebens stecke, die mich auf morgen vertröstet.

Probieren Sie es aus: Gottes Geist ist wirklich da – wenn wir hingehen, wo von Gott die Rede ist und er zur Sprache kommt. Denn nicht wir rufen Gott, sondern Gott ruft immer wieder uns und fragt (vielleicht so verzweifelt wie mancher von uns in der Warteschleife):

Mensch, wo bist Du? Was machst Du denn? Warum hörst Du denn nicht?

In dieser dunklen Jahreszeit will Gott uns besonders nahe sein – und das merken wir auch. Nutzen wir diese Zeit! Advent und Weihnachten kann uns daran erinnern, ranzugehen, hinzugehen, wenn Gottes Geist uns berühren will.

Sucht die Orte, an denen das geschieht. Nutzt die Zeit und die Orte, um neue Kraft und neue Zuversicht zu schöpfen, die Gott uns geben will.

Ihnen allen eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit!

Ihr Pastor Dr. Lars Emersleben

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